Wo sie ihren Mann kennengelernt hat weiß sie wahrscheinlich selbst nicht einmal mehr. Wenn sie sich konzentriert und für einen Moment aus ihrer jetzigen Situation auftaucht kann sie sich an wenige Szenen mit ihrem Mann erinnern. Da sind sicherlich auch schöne Momente darunter, Essen mit Rotwein, die roten Vorhänge die sie sich für die gemeinsame Wohnung gegönnt haben, eine kleine Porzellanfigur, die er ihr einmal geschenkt hat und die sie noch heute in ihrer Tasche mit sich trägt, an deren Bedeutung sie sich aber meistens nicht erinnert. Es gab eine Zeit in der sie auch mal Kinder haben wollten, nicht aus Liebe, sondern weil es von ihnen erwartet wurde und weil sie auch irgendwie in einen neuen Lebensabschnitt eintreten wollten, aber zu dieser Zeit war es eigentlich schon zu spät, obwohl sie das nicht wussten oder sich nicht eingestehen wollten. Zu dieser Zeit hat er schon begonnen sich um seine Karriere zu kümmern. Anfangs mit dem Gedanken für das eventuelle Familienglück sorgen zu können, später aus Ablenkung oder weil es ihm ganz einfach Spass machte. Hinzu kam, dass alles sehr galtt lief, was seine Karriere betraf. Anfangs das Studium in Frankfurt wo er nicht besonders gut war, aber er konnte sehr ehrgeizig sein, wenn ihn etwas interessierte. Anschließend hat er eine kleine Stelle angetreten bei einer kleinen Außenstelle einer französischen Firma, die Industrieprodukte herstellt. Da ist er im Vertrieb richtig aufgegangen und auch aufgestiegen, bis er schließlich Kontakte zu Kunden in ganz Europa aufbauen musste. Sie hat das alles verfolgt aber wenig interessiert. Vielleicht war das auch ihr Fehler, wenn man überhaupt von Fehlern sprechen kann. Letzten Endes wird sie einfach zu passiv gewesen sein, weil sie auch immer den Weg des geringsten Wiederstandes bevorzugt hat. Sie hat sich eigentlich immer so durchs leben leiten lassen, ohne selbst aktiv auf ihr Schicksal einwirken zu wollen. So wird sie auch mit ihrem Mann zusammengekommen sein. Nicht aus Romantik oder Liebe zu ihm, sonder ganz einfach weil er da war und Interesse an ihr bekundet hat. Wahrscheinlich war sie sogar mal recht ansehnlich, was man bei ihrem heutigen Anblick nur vermuten kann.
Das einzige Mal, wo sie in ihrem Leben wirklich aktiv geworden ist, wo sie alles umkrämpeln wollte, war die Sache mit dem Blumenladen. Das ist aber noch lange kein Grund sich so zu verhalten, wie sie es gegenwärtig tut.
Die Frage ist doch, ob das was in der Vergangenheit passiert ist von Bedeutung ist, denn schileßlich spielt es für sie bewusst keine Rolle mehr. Es hat sie wahrscheinlich zu dem gemacht, was und wie sie jetzt ist aber mit Informationen darüber kann man sie doch nur auf eine freudianische Spekulationsrunde begeben und auch dann ist es fraglich, ob man sie verstehen kann. Vielleicht ist einfach das wichtigier, was heute ist, wie und wo sie heute lebt, denn außerhalb ihrer kleinen Niesche habe sich sie noch nie gesehen.
je-guil - 3. Mär, 20:04
Wieso passieren immer DIR solche Sachen? Wieso beobachtet sonst niemand eine Frau mittleren Alters, wie sie naehezu taeglich in einen Geschaeftseingang pisst und sich danach die Stirn reibt?
Aber mal im Ernst, ich vermute, dass die Frau niemals in die Bedraengnis kommen wird, sich eine neue Pissniesche zu suchen oder aber dieses Ritual durchzufuehren, wenn das Geschaeft genutzt wird. Vielmehr nehme ich an, dass ihr das leerstehende Geschaeft gehoert. Urploetzlich und voellig unvorhersehbar endete ihr Dasein als Ladenbesitzerin naemlich vor 7 Jahren, als ihr ein miesgelaunter Typ von der staedtischen Aufsichtsbehoerde die Lizenz fuer ihren Laden nahm. Alles lief bis dahin wunderbar, sie war selbstaendig, finanziell wohlgestellt und hatte ihren Traum verwirklicht. Jeder Arbeitstag war die Selbsterfuellung. Und dann hat dieser miesgelaunte Typ alles in einem einzigen Augenblick zerstoert, mit einem perfiden Grinsen auf dem Gesicht. In den folgenden Wochen ist sie voellig abgerutscht, hat sich jeden Tag im leeren Geschaeft herumgedrueckt und mit der Zeit Fantasiekunden erfunden, die sie bedienen konnte. Klassische Verdraengung, weil sie die Realitaet einfach nicht akzeptieren konnte. Bis auf die Tatsache, dass sie kaum noch Nahrung zu sich nahm, geschweige denn ihr bis dahin zwar nicht ueppiges, aber inmmerhin doch stetiges Sozialleben aufrechterhielt, haette sie wahrscheinlich liebend gern bis ans Ende aller Tage den Laden imaginaer weitergefuehrt. Schliesslich konnte sie so ueberleben, von Ladenschluss bis Ladenoeffnung denken und der Realitaet erfolgreich entkommen. Verdraengung ist schliesslich ein wichtiger Ueberlebensmechanismus. Waere da nur nicht ihr Mann gewesen. Eigentlich hatte sie sich ja den Laden und ihre eigene Existenz aufgebaut, um endgueltig von ihrem Mann loszukommen, finanziell unabhaengig zu sein und ihn damit vollstaendig vergessen zu koennen. Gluecklich verheiratet waren sie wahrscheinlich nie, warum sie eigentlich den Bund des Lebens gewaehlt haben, war ihr eigentlich nie so richtig bewusst gewesen. Jedenfalls gab es ihr finanzielle Sicherheit und ein relativ freies Leben, da er ja sowieso fast staendig durch Europa kreuzte und das gemeinsame Haus eher als Hotel nutzte. Ungestoert konnte sie so Freunde treffen und ihren Hobbies nachgehen. Doch nach eingigen Jahren reichter das einfach nicht mehr. Freunde und Hobbies fuellten sie nicht mehr aus, jeden abend stieg die Leere ihres Lebens in ihr hoch und vermischten sich mit dem permanenten Gefuehl allein gelassen worden zu sein und den Angstvorstellungen, dass er sich allabendlich in irgenwelchen Hotels mit jungen Dingern vergnuegt. Wenn er mal wieder fuer ein paar Tage nach Hause kam setzte sie ein froehliches Gesicht auf und wartete auf die Abreise, wenigstens konnte sie alleine im Haus heulen so viel sie wollte. Ihr Sozialleben litt gewaltig und ging den rasant den Bach runter. DAfuer endete sie regelmaessig in Depressionen und Alkoholexzessen.
Was eigentlich die Wende brachte, was weder ihr noch ihren Freunden klar. Eines Tages fasste sie Mut und entschloss sich, ihr Leben umzukrempeln, was aus sich und ihrem Leben zu machen. Schon immer hatte sie von ihrem eigenen Blumenladen getraeumt, sich vorgestellt, welche Pflanzen sie verkaufen wuerde, wie sie sie dekorieren und im Schaufenster drapieren wuerde und welche Blumen sie zu Straeussen binden wuerde. Es war ihr Kindheitstraum. Irgendwie wuchs dieser Traum in ihr waehrend all der Abende in Einsamkeit und Trauer und wurde zu einem hellen, froehlichen und warem Zuflochtsort. In ihrem Laden war sie nie allein und traurig, denn all die Blumen und Pflanzen redeten mir ihr und sie mit ihnen und immer neue Aufgaben gaben ihr das Gefuehl, gebraucht zu werden, von Nuetzen zu sein, was zu leisten und sich als jemand zu fuehlen. Ein Blumenladen sollte es also sein. Im Kolpingweg hatte ihre Freundin kurz zuvor einen Laden von ihrem verstorbenen Mann uebrernommen, aber nicht weitergefuehrt. Also sprach sie mit ihr und war schon 2 Wochen spaeter dabei, mit Grosshaendlern und Gaertnereien zu verhandeln. Als Leihgabe konnte sie den Laden zunaechst nutzen und langfristig konnte sie einfach nicht denken, denn es war viel zu aufregend, ihren eigenen Laden aufzubauen. Als der Laden voll war mit Blumen und anderen Pflanzen ging es ihr besser. Und eines Tages kam sogar der erste Kunde. Der Laden florierte, aber vor allem war sie wie ausgewechselt und hatte mehr Lebensmut als in vielen Jahren zuvor. Ihr Leben florierte. SIe strahlte ihren Kunden entgegen, band Straeusse mit Begeisterung und Liebe und blickte immer noch einmal mit Sehnsucht zurueck zum Laden, wenn sie abends nach Ladenschluss zum Auto ging. Nach knapp einem Jahr kam ihre Freundin in den Laden und fragte sie nach Geld. Das Leihgeschaeft hatte sie voellig vergessen, aber ihre Freundin war in einen finanziellen Engpass geraten, nachdem man deren Mann posthum diverse kriminelle Geschichten nachweisen konnte und einen Teil des angerichteten Schaden aus seinem Vermoegen nahm. Nun wollte der Laden veraeussert werden.
Es fuehrte kein Weg dran vorbei, sie konnte nur ihren Mann nach dem Geld fragen. Sie selbst hatte ja kaum was gespart und der Laden warf nicht sonderviel ab. In der Woche darauf kam ihr Mann nach Hause und zeigte sich ueber ihre Bitte um Geld fuer den Laden wenig geruehrt. Er schrieb einen Scheck und die Sache war durch.
Einige jahre lang lief dann alles nach ihren Vorstellugnen, der Laden lief immer besser und sie musste nach 2 Jahren eine Aushilfe einstellen. Sie weitere ihre Leistungen aus und begann, Firmen mit Gestecken zu beliefern. Alles in ihrem Leben drehte sich um den Laden und ihr Mann wurde zugleich immer unwichtiger. Er liess sich ohnehin immer seltener blicken und wo er gerade war wusste sie fast nie. Ein Eheleben gab es auch nicht mehr bzw. so was hatte es in ihren Augen noch nie gegeben. Wenn er nach Hause kam unterhielten sie sich oberflaehlich ueber seine Arbeit und dann kurz ueber ihren Laden. Sie kochte fuer ihn und sie haben auch zusammen gegessen, aber abends arbeitete oder telefonierte er immer und sie schliefen eh in getrennten Zimmern. Als er Mitte der 90er dann wieder mal auf Stippvisite vorbei kam, hatten sie mehr Gespraechstoff. Er erzaehlte von einer Affaere und wollte die Scheidung. Die Vorstellung, nicht mehr mit ihm verheiratet zu sein und nicht mehr mir ihm ein Haus zu teilen, liess sie kalt, in ihrer Ehe sah sie ihnehin keinen Punkt. Doch das Gefuehl, zurueckgewiesen zu werden, ausgetauscht zu werden fuer ein juengeres Modell, nicht mehr gewollt zu werden, setzte ihr zu. Viele Erinnerungen aus der Zeit vor dem Blumenladen kamen zurueck und machten sie fertig. Er reiste ab und liess nur noch von seinem Anwalt hoeren. Beinahe waere sie wieder in ein aehnlich tiefes Loch gestuerzt, doch stattdessen struerze sie sich in Arbeit, verbrachte den ganzen Tag im Laden und verdraengte wieder mal erfolgreich. Postalisch wurde die Scheidung vorangetrieben, und sie zeigte sich mit allem einverstanden, was seine Anwaelte veranschlagten: Die Haelfte des Hauses, die Haelfte der Sparbriefe und und und. Die SCheidung lief vor sich hin und manchmal wunderte sie sich wie kalt sie das alles laesst und wie wenig sie davon gerueht ist. Aber eines Tages kam dann der SChock, denn sie so lange gefuerchtet hatte. Ein Brief seines Anwalts mit der Ankuendigung, dass der Laden zu seinem Vermoegen zaehlt. Es war wie ein SChlag auf die Nase, nachdem sich alles taub anfuehlt. Die Kundin, die noch im Laden war und nach den Lilien fragte, konnte sie kaum verstehen und genau genommen auch nur noich verschwommen erkennen.
Im Hass brannte sie das Haus nieder und weigerte sich, den Laden aufzuegeben. Er traute sich selbst nicht mehr persoenlich vorbei zu kommen, also zeigten sich von Zeit zu Zeit seine Rechtverdreher und versuchten, ihr den Laden zu nehmen. Aber sie zeigte sich resistent. Ihr Mann versuchte nur noch sie fertig zu machen und seine Kohle wiederzubekommen und dabei war ihm scheinbar jeder Weg recht. Etwa ein halbes Jahr spaeter tauchte dann der Typ von der Aufsicht auf und gab ihr zu verstehen, dass sie wegen Steuerhinterziehung dran waere und den Laden umgehend dicht machen muss. Erneut verschwamm alles in ihrem Sichtfeld und mit Echo hoerte die Stimme ihres Mannes: Du schmeisst den Laden und kuemmerst dich um nichts anderes, den Rest mit den Finanzen mach ich schon. Jetzt hatte er seine krummen Geschaefte vermeintlich gestanden und den Behoerden einen Gefallen getan, in Wirklichkeit aber nur von den grossen Dingern abgelekt und IHREN Laden drauf gehen lassen. Das kann man wohl 2 Fliegen mit einer Klappe nennen. Das war einfach zu viel fuer sie. Noch ein Rueckschlag, nach soviel Rueckschlaegen, von denen sie sich immer wieder erholt hatte, immer wieder nach oben kam und wieder den Weg bergauf fand. Alles um sie herum geschah von da an viel zu schnell, sie verlor die Kontrolle, wie auf einem Fahrrad, das bergab rast und sie hat den Lenker aus der Hand rutschen lassen. Sie rast auf die Hecken zu, waehrend die Steine auf dem Boden immer schneller vorbeizischen und zu einer untrennbaren Flaeche werden. Und alles beginnt zu verschwimmen und sie kann gar nichts mehr erkennen.
Verdraengung ist auch heute noch ihr Ueberlebensmechanismus, aber sie muss die Wirklichkeit fast komplett verdraengen. In ihrer Welt geht sie noch immer jeden Tag in den Laden, geht morgens wie immer aufs Klo und wischt sich ab und zu sie Stirn, weil es im Laden vor lauter Pflanzen so feucht ist.
Die Vorgeschichte musst du mir mal erzaehlen. Wo hat sie ihren Mann kennengelernt?
uzumaki - 3. Mär, 16:36
So, zweite Klausur hinter mir.
Ich habe wesentlich mehr geschriebem, befürchte aber, dass die Übergänge nicht so sauber sind wie in der Probeklausur. Verdammt! Die kleinen aber feinen Übergänge fehlen.
Spiele jetzt erstmal eine Runde Computer, werde mich dann penne legen und anschließend mit dem anderen Thema anfangen.
je-guil - 3. Mär, 15:50